BIOGRAPHIEN

Das Empire am preußischen Niederrhein

Proklamation des Rheinbunds durch Napoleon I., vermutlich Charles Etienne Pierre Motte, Paris um 1810, Stahlstich © LVR-Niederrheinmuseum Wesel

Alljährlich wurde im ganzen Empire feierlich der „Napoleon-Tag“ begangen, anlässlich dessen Geburtstags am 15. August. Ein weiterer Feiertag erinnerte an die Kaiserkrönung am 2. Dezember 1804. Zusätzlich wurde der Festkalender angereichert durch die Gedenkfeiern an bedeutende militärische Siege. Hinzu kam ein weiterer Feiertag zur Geburt des lang ersehnten Thronfolgers am 20. März 1811 aus Napoleons zweiter Ehe mit der habsburgischen Prinzessin Marie-Louise. 

Auch die Weseler waren seit dem 24. Februar 1808 zum Mitfeiern angehalten. Baron von Keverberg, Unterpräfekt des Arrondissements Kleve im Roerdepartement, teilte ihnen an diesem Tage u.a. mit, dass der Kaiser sie „in die große Familie seiner glücklichen Untertanen aufgenommen“ habe, und dass sie nun „im Namen des größten aller Monarchen …mit Frankreich vereinigt“ seien. Die pathetische Proklamation ließ auch Realitäten mitschwingen. Das Empire Napoleons war ideologisch „universal“ angelegt und bot Raum für viele Nationen. Überdies war es ein moderner Staat mit einem fortschrittlichen Rechtssystem, einer liberalen Wirtschaftsordnung sowie einer gut funktionierenden Verwaltung. Auch die Weseler kamen nun, wie die Deutschen links des Rheins, in den vollen Genuss dieser Vorzüge und durften sich als Mitglieder einer egalitären Bürgergesellschaft fühlen. Auch die Möglichkeiten sozialen Aufstiegs und wirtschaftlichen Erfolgs führten zu einer raschen Anpassung der Einwohner an die neue Ordnung.  

Stadt und Festung Wesel zählten zum rechtsrheinischen Teil des Herzogtums Kleve, den das Königreich Preußen im Vertrag von Schönbrunn (15. Dezember 1805) abgetreten hatte und die zunächst dem neuen Großherzogtum Berg zugeschlagen wurden. Napoleon ließ jedoch keinen Zweifel daran, dass die Festung einzig und allein dem kaiserlichen Adler unterstand. Der Festung wurde eine große militärstrategische Bedeutung beigemessen – sowohl zur Sicherung der Rheingrenze als auch wegen der Brückenkopf–Funktion und als Basis für eigene Operationen im Rechtsrheinischen. Die von Napoleon autorisierten Ausbaupläne sahen ein gewaltiges, stromübergreifendes und vierfach gegliedertes Verteidigungssystem vor: die bestehende Stadtbefestigung mit der Zitadelle an der Lippemündung sowie als neue Werke auf dem linken Rheinufer die „Citadelle Napoléon“ bei Büderich und auf der Rheininsel davor die „Citadelle Bonaparte“. Zwischen 1806 und 1814 gab der französische Staat mehr als 5 Millionen Francs für den Ausbau der Festung Wesel aus. Die geplanten neuen Festungswerke konnten jedoch nur ansatzweise realisiert werden. 

Da die Zollgrenze weiterhin am Rhein verlief, blieb den hiesigen Kaufleuten der französische Markt praktisch verschlossen. Damit befand man sich in eklatantem Gegensatz zu den linksrheinischen deutschen Städten, deren Handel und Gewerbe in dieser Zeit beträchtliche Steigerungen erfuhren. Allen voran Krefeld, dessen Textilfabrikation erheblich profitierte. Ludwig Maximilian Rigal, ein Krefelder Fabrikant, ergatterte den Auftrag für die Fertigung der samtenen Senatorenmäntel anlässlich der Kaiserkrönung. Später wurde er selbst Senator in Paris.  

Zwei Reisen führten Napoleon an den Niederrhein. Das erste Mal im September 1804 und dann im Herbst 1811. Vom 31. Oktober bis zum 2. November hielt er sich, von Nijmegen kommend, in Wesel auf. Von hier aus gelangte er über Duisburg nach Düsseldorf – Heinrich Heine hat den dortigen Einzug Napoleons literarisch verewigt. Schließlich besuchte der Kaiser noch Köln, Bonn und Jülich, um dann am 8. November nach Frankreich zurückzukehren. Diese Huldigungsreise sah Napoleon auf dem Höhepunkt seiner Macht. Im Jahr darauf leitete das katastrophale Scheitern des Russlandfeldzuges den schließlichen Untergang des Empire und das Ende der französischen Herrschaft am Rhein ein.

Deren Endphase brachte speziell für Wesel und seine Umgebung schmerzliche Verluste und bittere Erfahrungen mit sich. Nach der entscheidenden Niederlage in der „Völkerschlacht“ von Leipzig am 19. Oktober 1813 musste Napoleon sich mit den Resten seiner Armee hinter den Rhein zurückziehen. Die Festungen Mainz und Wesel sollten jedoch möglichst lange gehalten werden. Wesel wurde von preußischen und russischen Truppen im November 1813 eingeschlossen. Die Alliierten verzichteten wegen der zu erwartenden hohen Verluste auf förmliche Belagerung und direkten Angriff. In der eingeschlossenen Stadt brachen Seuchen aus, denen bis Mai 1814 fast 2.000 Soldaten und Zivilisten zum Opfer fielen. Erst als Napoleon in Fontainebleau abgedankt hatte und ein Bevollmächtigter der neuen französischen Regierung mit entsprechenden Weisungen in Wesel eingetroffen war, kapitulierte die Festung am 1. Mai 1814. 

Wesel steht, wie die rechte Rheinseite überhaupt, eher mit den despotischen Aspekten der napoleonischen Herrschaft und dem Widerstand dagegen in Verbindung. Hier fand im September 1809 die Verurteilung der elf Schill’schen Offiziere Aufstand gegen das Empire durch ein französisches Militärgericht und ihre Hinrichtung statt. Von hier aus wurden auch zwei Regimenter in Marsch gesetzt, die im Winter 1812/13 Volksunruhen im Bergischen niederschlugen. Nach Wesel wurden Ende August 1813 auch die „Genter Seminaristen“ überstellt, Priesterschüler aus der Diözese Gent, die dem vom Kaiser eingesetzten Bischof den Gehorsam verweigert hatten. Das Seminar wurde daraufhin geschlossen und die Seminaristen, obwohl gesetzlich davon befreit, zum Militärdienst verpflichtet. 148 von ihnen kamen in eine Strafeinheit, die in der Festung Wesel stationiert war. 35 starben in den nächsten Monaten an Entkräftung und Seuchen.    

Linksrheinisch überwiegen in der Erinnerung positive Aspekte und moderne Tendenzen der napoleonischen Herrschaft.  Das Empire setzte hier sich selbst und der Johanna Sebus ein Denkmal. Die 17jährige Tochter eines Tagelöhners hatte im Januar 1809 während eines Rheinhochwassers ihrer kranken Mutter das Leben gerettet und war beim Versuch, auch die Nachbarin und deren kleine Kinder zu bergen, selber ertrunken. Auch dem gelehrten Stiftsherrn Cornelis de Pauw (1739–1799) setzte Napoleon 1811 ein Grabdenkmal in Xanten. Obwohl Kanoniker, zählte de Pauw zu den bedeutendsten deutschen Vertretern der Aufklärung. Bereits 1792 hatte ihm, dem Onkel des prominenten Jakobiners Anarchasis Cloots aus Kleve, der Nationalkonvent das Bürgerrecht der Republik Frankreich verliehen. 

In der unterschiedlichen Erinnerungskultur spiegelt sich auch die größere Nähe des linken Rheinlandes zu Frankreich und die längere Einbindung in Republik und Empire. Man kam hier länger in den friedlichen Genuss fortschrittlicher Einrichtungen und Errungenschaften. Eine ähnliche Akzeptanz kam auf der rechten Rheinseite nicht (mehr) zur Entfaltung.

Weitere Unterthemen: 

> Revolutionäre Ereignisse am Niederrhein 

> Preußens Arrangement mit Frankreich - Der Friede von Basel

> Säkularisation

> Aufstand gegen das Empire – Der Zug Ferdinand von Schills 1809 

> Christoph Wilhelm Henrich Sethe – Ein preußischer Beamter im Dienst Napoleons

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J. Petersen, Einzug Napoleons in Düsseldorf am 3. November 1811, Aquarell, Stadtmuseum Düsseldorf © Wikimedia Commons [Public domain]
Unbekannt, Die „Citadelle Napoléon“, das spätere Fort Blücher, und die „Citadelle Bonarparte“ auf dem Festungsplan Wesel/Büderich von 1808 © Wikimedia Commons [Public domain]
Unbekannt, Karte des ehemaligen französischen Departements Roer © Wikimedia Commons [Public domain]