Kaiser Wilhelm II. und das Krupp-Imperium

Für die Mehrspartenkonzentration in Großbetrieben nach 1880 ist die Entwicklung der Firma Krupp ein besonders prägnantes Beispiel. Ausgehend von der seit 1811/12 bestehenden Gussstahlfabrik in Essen erwarb Krupp 1892 das Grusonwerk bei Magdeburg und hatte damit seinen wichtigsten Konkurrenten bei der Herstellung gepanzerter Festungsgeschütze ausgeschaltet. Mit der Errichtung des Stahlwerks in Rheinhausen 1896/97 konnte die Firma ihren wachsenden Stahlbedarf aus eigener Produktion decken. Der Erwerb der Germaniawerft 1896-1902 in Kiel machte Krupp schließlich auch zu einem führenden Schiffsproduzenten in der wilhelminischen Flottenrüstung. Der Germaniawerft sollte es erstmals gelingen, ausreichend leistungsfähige U-Boote für die Kaiserliche Marine zu entwickeln, die im Ersten Weltkrieg zum Einsatz kamen. Schließlich vermochte Krupp auch als Hauptaktionär bei der “Rheinmetall“, einem weiteren Konkurrenten im Waffengeschäft, einzusteigen. Hinzu kamen weitere Stahlwerksanlagen bei Duisburg, in Annen, Neuwied, Engers, die Sayner Hütte, die Zechen Hannover, Hannibal, Sälzer und Neuack, zahlreiche Eisenerzgruben in Deutschland und Bilbao, sowie eine Reederei in Rotterdam. Sozusagen als bayerische Außenbastion traten dann noch 1916 die Bayerischen Geschützwerke hinzu.

Lithographie: Gußstahlfabrik Krupp
„Die Gußstahlfabrik 1912“, Ansicht der Kruppwerke in Essen, Otto Bollhagen und Fritz Jacobsen, Nürnberg 1912 bei E. Nister, kolorierte Lithographie © LVR-Niederrheinmuseum Wesel

Bestanden schon engere Beziehungen zwischen Wilhelm II. und Friedrich Alfred Krupp (1854-1902), sollte sich bei der nachfolgenden Generation der Unternehmensführung das Verhältnis zwischen Kaiserhaus und Krupp-Dynastie noch enger gestalten. 1906 schloss die Erbin des Konzerns Bertha Krupp (1886-1957) die Ehe mit dem Diplomaten und promovierten Juristen Gustav von Bohlen und Halbach (1870-1950). Per Erlass Wilhelms II. durfte er seinem Familiennamen nun den Zusatz „Krupp“ hinzufügen. 1909 führte er als Handlungsbevollmächtigter seiner Gattin den Aufsichtsrat. 1912, anlässlich des 100jährigen Firmenjubiläums, verlieh Wilhelm II. ihm Titel und Rang eines außerordentlichen Gesandten und Ministers.

Zahlreiche Besuche des Kaiserpaares auf der Villa Hügel, der Essener Residenz der Unternehmerfamilie, gaben dem Imperium im Ruhrgebiet monarchischen Glanz. Die patriarchalisch-sozialpolitische Rolle, in der der Kaiser sich selbst sah, spiegelte sich im kleineren Maßstab in den Sozialleistungen und im Identifikationsangebot der Kruppschen „Firmenfamilie.“ In der Zuerkennung einer reichsweiten Modellfunktion für die Krupp-Betriebe waren sich Wilhelm II. und Gustav Krupp von Bohlen und Halbach einig, der im Gegensatz zu anderen großen Unternehmen noch im Ersten Weltkrieg den firmeneigenen Wohnungsbau weiterbetrieb.

Die Nähe zum Monarchen sollte sich für Krupp auch wirtschaftlich auszahlen. So wurde beispielsweise der auf die Schlachtflotte fixierte Staatssekretär des Reichsmarineamtes Alfred von Tirpitz (1849-1930) nach einem arrangierten Besuch des Kaisers im „Geheimschuppen“ der Germaniawerft 1904, wo Wilhelm II. die für Russland im Bau befindlichen U-Boote erblickte, angewiesen, U-Boote bei Krupp in Auftrag zu geben.

Bei der Produktion schwerer Waffen im Ersten Weltkrieg erlangte der Krupp-Konzern eine führende Stellung. Der erste spektakuläre Erfolg Kruppscher Waffentechnik war die Einnahme der Festung Lüttich gleich zu Kriegsbeginn mit Hilfe von neuartigen 42-cm-Riesenmörsern, die danach unter dem Namen „Dicke Berta“ bekannt wurden. Firmenleiter Gustav Krupp von Bohlen und Halbach und seinem Konstrukteur Rausenberger erhielten für die „Dicke Bertha“ die Ehrendoktorwürde der Philosophischen Fakultät der Universität Bonn​​​​​​​. Auch das gigantische Eisenbahngeschütz, das mit einer Reichweite von mehr als 100 km 1918 zum Einsatz kam und Paris beschoss, stammte aus Kruppscher Produktion. An der Umsetzung des sogenannten „Hindenburg-Programms“, das seit September 1916 die deutsche Rüstungsleistung bis zum Winter 1917/18 nahezu verdreifachte, hatte wohl keine Firma stärkeren Anteil als das Krupp-Imperium.

Unter der letzten Kriegsphase zeigten sich die Risse im Krupp-Modell des sozialen Konsenses immer deutlicher. Im Januar 1918 trat fast die gesamte Belegschaft der Germaniawerft in den Streik und forderte die „Erzwingung des Friedens“. Der Versuch des Kaisers im September 1918, die Arbeiter der Essener Gussstahlfabrik in einer persönlichen Ansprache auf weiteres Durchhalten einzuschwören, erreichte die Zielgruppe nicht und rief gegenteilige Effekte hervor.

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Gemälde: Wilhelm II. in der Paradeuniform
Gemälde in der Villa Hügel, Wilhelm II. in der Paradeuniform des Regiments der Gardes du Corps, Ludwig Noster, im Auftrag Gustav Krupp von Bohlen und Halbach, Berlin 1900, Öl auf Leinwand © LVR-Niederrheinmuseum Wesel