Tanzhusaren und Bergleute in Krefeld

Am 2. April 1906 führte Kaiser Wilhelm II. sein 11. Husarenregiment (2. Westfälisches) in die neue Garnison. Über 100.000 Zuschauer aus nah und fern säumten die Straßen Krefelds. Derartige groß inszenierte Militärschauspiele hatten seinerzeit nicht nur in Preußen-Deutschland einen erheblichen öffentlichen Unterhaltungswert. Zur Militär-Folklore passte auch die anekdotische Begründung des Husaren-Einzugs, wonach der Kaiser während eines früheren Besuchs (1902) in der „Samt- und Seidenstadt“ den jungen Damen der „guten“ Gesellschaft fesche Leutnants als künftige Tänzer versprochen hatte.

Die gefeierte Anwesenheit der „Tanzhusaren“ hatte jedoch einen eher prosaischen Hintergrund. Krefeld, seinerzeit eine der reichsten Kommunen Deutschlands, hatte sich schon seit längerer Zeit darum bemüht, endlich auch „Garnison“ zu werden. Dieser Status war für Ansehen und Ökonomie eines Standortes mittlerweile von erheblicher Bedeutung geworden. Nun traf sich das städtische Anliegen mit der Absicht des Militärs, dem bisher in Düsseldorf nur unzureichend untergebrachten Husarenregiment eine neue linksrheinische Garnison zu beschaffen. Der Stadtrat bewilligte 1902 vier Millionen Mark für den Bau einer neuen Kaserne am Kempener Feld und stellte auch Exerziergelände und Schießplätze zur Verfügung.

Der Einzug des Husarenregiments mit dem Kaiser an der Spitze ist auch in einer ganz frühen Filmaufnahme (im Bestand des Stadtarchivs Krefeld) festgehalten. Sie dokumentiert im zweiten Teil allerdings noch einen weiteren, weitaus weniger bekannten kaiserlichen Auftritt an diesem Tag: Auf dem Hof der neuen Husarenkaserne sprach Wilhelm II. 25 angetretenen Grubenwehren der Zechen Shamrock (Herne) und Rheinelbe (Gelsenkirchen) seine Anerkennung für ihren freiwilligen Einsatz bei Bergungsarbeiten im nordfranzösischen Courrières aus. Auf der dortigen Schachtanlage waren am 10. März 1906 beim größten europäischen Grubenunglück 1099 Bergleute ums Leben gekommen. Der Kaiser würdigte die Verdienste der Kumpel aus dem Ruhrgebiet und überreichte vom französischen Präsidenten verliehene Ehrenmedaillen.

Die terminliche und lokale Verknüpfung der gefährlichen Schwerstarbeit unter Tage mit dem in Preußen von jeher höchst respektierten militärischen „Ehrendienst“ weist auf ein Charakteristikum der persönlichen Sozialpolitik Wilhelms II. in den westlichen Provinzen. Einige Jahre später, anlässlich eines schweren Grubenunglücks in Bochum-Gerthe (1912) sprach der Kaiser von den Bergleuten als dem „Armeekorps vor Kohle“, von dem etliche Tapfere nun „auf dem Felde der Ehre“ geblieben seien.

Diese und ähnliche Gleichsetzungen von industrieller Arbeit und Militärdienst standen in Zusammenhang mit dem patriarchalischen Bemühen Wilhelms II., Tradition und Moderne zu harmonisieren. Die betonte kaiserliche Wertschätzung von Arbeit und Handel, Wissenschaft und Technik verschaffte der preußischen Monarchie in den hochindustrialisierten Westprovinzen durchaus Sympathiegewinne. Eine „Aussöhnung“ von preußischer Tradition und wirtschaftlich-technischer Moderne wurde jedoch letztlich nicht erreicht, da eine gesellschaftliche Modernisierung mit mehr Partizipation und Gleichberechtigung, weitgehend ausblieb.

 

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Wilhelm II. Deutscher Kaiser und König von Preußen, in der Parade-Uniform des Regiments der Gardes du Corps, Fritz Reusing, Düsseldorf 1905, Öl auf Malkarton, Studie zu einem repräsentativen Gemälde für das Rathaus der Stadt Mühlheim a. Rhein, links die preußische Königskrone © LVR-Niederrheinmuseum Wesel