Konstruktionen einer Region - das preußische Rheinland im Kaiserreich
Nach dem aus deutscher Sicht erfolgreichen Verlauf des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 und der daraus hervorgegangenen Gründung des Deutschen Kaiserreiches von 1871 veränderten sich die Sichtweisen vieler Menschen am Rhein: Preußen hatte unter Beweis gestellt, dass es die symbolisch beschworene „Wacht am Rhein“ gegen den vermeintlichen „Erbfeind“ Frankreich mit Erfolg ausüben konnte. Zudem entstand durch den im Rheinland geschätzten Kaiser Wilhelm I. und das Kaiserreich eine neue Identifikationsebene - man konnte sich am Rhein euphorisch für „Kaiser und Reich“ begeistern, ohne dabei unbedingt an Preußen denken zu müssen.
Zudem erfolgte im Lauf des späten 19. Jahrhunderts eine signifikante und bedeutsame weitere „Aufladung“ der Flusslandschaft Rhein, was zu einer einzigartigen Konstellation führen sollte: Das Rheinland wurde zu einer der zentralen Denkmal- und Symbollandschaften des Deutschen Kaiserreiches von 1871. Diese reichte vom Kölner Dom über das „Deutsche Eck“ in Koblenz mit dem Provinzialdenkmal für Wilhelm I. bis zum Niederwalddenkmal bei Rüdesheim mit der „Germania“ als patriotischem Symbol gegen Frankreich. Gerade die Denkmäler mit Bezug auf die Erinnerung an die Reichsgründung bzw. die Reichsgründer zeigen eindrucksvoll, wie sich hier neue nationale Erinnerungsbedürfnisse mit regionalen Befindlichkeiten und Vorgaben verbanden oder teilweise auch in produktiver Konkurrenz standen. In dieser Verquickung verschiedener symbolischer Ebenen, die ja noch aufgewertet wurde durch die große Zahl von „Erinnerungsorten“ an die im Kaiserreich sehr geschätzte hochmittelalterliche Kaiserzeit, wie z. B. die „Kaiserdome“ in Speyer, Worms und Mainz und natürlich der Kölner Dom sowie die Burgruinen im Rheintal wurde der Rheinlauf (und hier speziell das Mittelrheintal) neben Berlin zum zentralen Memorialraum des deutschen Kaiserreiches. Das schlug sich im zunehmend auch patriotisch motivierten Rheintourismus nieder, sodass etwa Krieger- und Gesangsvereine kollektiv zum „Deutschen Eck“ oder zum Niederwalddenkmal „pilgerten“.
Hinzu kamen besonders Ende des 19. Jahrhunderts eine Vielzahl von Hohenzollerndenkmälern in den rheinischen Städten - ergänzt noch durch viele Bismarckdenkmäler, mit denen an den im Westen intensiv verehrten „Reichsgründer“ erinnert wurde. In Köln entstanden etwa zwischen 1871 und 1918 insgesamt 14 monumentale Personendenkmäler für Mitglieder des Herrscherhauses oder preußische Führungspersonen - man kann ohne Übertreibung von einer preußisch geprägten kommunalen Denkmaltopographie sprechen. Einen End- und Höhepunkt dieser Gesamtentwicklung am Rhein bildeten die vor allem von rheinisch-westfälischen Eliten seit 1906 betriebenen Planungen für ein dem ehemaligen Reichskanzler Bismarck gewidmetes gewaltiges Nationaldenkmal bei Bingen am „deutschen Rhein“, das zum 100. Geburtstag 1915 gegenüber dem Niederwalddenkmal eingeweiht werden sollte. Verzögerungen und dann der Erste Weltkrieg verhinderten den Bau des Monumentaldenkmals.
Literatur:
Reinhard Alings, „… wenn ein solches Monument erst einmal in den Bädecker übergegangen ist…“ Nationaldenkmäler des Kaiserreichs am Mittelrhein, in: Der Geist der Romantik in der Architektur. Gebaute Träume am Mittelrhein, Regensburg 2002, S. 85-95
Iris Benner, Kölner Denkmäler 1871-1918. Aspekte bürgerlicher Kultur zwischen Kunst und Politik, Köln 2003
Wolfgang Cilleßen, „Altäre für das Vaterland“. Der Niederrhein als national-patriotische Denkmallandschaft, Wesel 2002
Hans Fenske, Erinnerungsstätten an die Reichsgründung. Die Germania bei Rüdesheim, das Friedensdenkmal bei Edenkoben und andere Monumente, in: Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz 100 (2002), S. 363-382
Ekkehard Mai/ Peter Springer (Hg.), Das letzte Nationaldenkmal. Bismarck am Rhein: Ein Monument, das nie gebaut wurde, Köln [u.a.] 2013
Hartwin Spenkuch, Preußen – eine besondere Geschichte. Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur 1648-1947, Göttingen 2019, S. 302-318
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Miniatur des 1879 von Schaper fertig gestellten Bismarck-Denkmals in Köln, des ersten in Deutschland.