Renitente Bischöfe

Signalement:

Vor-und Zuname: Dr. Konrad Martin             Wohnort: Wesel

Gewerbe oder Stand:             vormals Bischof von Paderborn

Religion: katholisch       Alter: 63 Jahre           Größe: 5 Fuß 6 Zoll (rheinl.) [173 cm]

Haupthaar: grau                     Augenbrauen: grau    Augen: grau

Nase: länglich                         Mund: gewöhnlich      Zähne: mangelhaft

Kinn: länglich                          Gesicht: länglich         Gesichtsfarbe: gesund

Statur: schlank                       Besondere Kennzeichen: keine

 

Diese Personenbeschreibung ergänzte einen Steckbrief vom 1. Dezember 1875 gegen den abgesetzten Bischof von Paderborn. Er war im September neuerlich zu einer Geldstrafe von 2400 Mark oder ersatzweise 6 Wochen Gefängnis verurteilt worden – in Abwesenheit, da er sich am 4. August 1875 aus der Festung Wesel „fortgemacht“ hatte.

Konrad Martin (1812-1879) wurde 1856 Bischof von Paderborn und 1869 nach Rom berufen, um das Erste Vatikanische Konzil mit vorzubereiten. Als entschiedener Parteigänger Papst Pius‘ IX. und Verfechter der päpstlichen Unfehlbarkeit (1870 auf dem Konzil verkündet), wurde er im so genannten „Kulturkampf“ zu einem der hartnäckigsten Widersacher der Staatsautorität.  

Wie seine Amtsbrüder verstieß Martin bewusst gegen Reichsgesetze, mit denen die römisch-katholische Kirche staatlicher Aufsicht unterworfen werden sollte. Auf Geldstrafen reagierte man in der Regel nicht, so dass ersatzweise verhängte Freiheitsstrafen anzutreten waren. Konrad Martin verbüßte ab dem 4. August 1874 in Paderborn erstmalig eine sechswöchige Gefängnishaft unter großer Anteilnahme der katholischen Bevölkerung.

Der Berliner "Gerichtshof für geistliche Angelegenheiten" erklärte den Bischof von Paderborn am 5. Januar 1875 für abgesetzt. Ein bereits im März des Jahres verfasster Hirtenbrief trug ihm weiterhin eine Festungshaft von Januar bis März 1875 in Wesel ein. Zur Unterkunft standen Konrad Martin zwei kleine Wohnräume im so genannten „Offiziersgefängnis“ der Zitadelle zur Verfügung, wo auch noch weitere katholische Geistliche einsaßen. Gegenseitiger Besuch und gemeinsame Messfeier waren gestattet, auch auf den Festungswällen durfte man sich tagsüber frei bewegen.

Danach blieb Martin in Wesel interniert und wohnte im Hause des angesehenen katholischen Kaufmanns Georg Julius Dorsemagen (1834-1911), wo zahlreiche Katholiken aus den beiden preußischen Westprovinzen ihren Bekenner-Bischof unausgesetzt besuchten und ihre Verbundenheit demonstrativ zum Ausdruck brachten.

Am 14. Juni musste Martin wieder eine zweimonatige Festungshaft in der Zitadelle antreten, wo sich sein Gesundheitszustand verschlechterte. Die Stadt durfte er jedoch auch danach nicht verlassen. Dann erneut zu Festungshaft verurteilt, floh Martin am 4. August aus Wesel. Seine von einem deutsch-niederländischen katholischen Netzwerk organisierte Flucht aus der streng bewachten Festung verlief merkwürdig glatt wie auch der Grenzübertritt ins niederländische Limburg. Den preußischen Behörden blieb damit jedenfalls weitere unliebsame Publicity erspart.

In den Niederlanden kam Konrad Martin zunächst im Kloster der sächsischen Franziskanerprovinz in Brunssum unter. 1876 musste er nach Belgien ausweichen, wo er drei Jahre später im Kloster der Schwestern der christlichen Liebe Mont St. Guibert bei Brüssel verstarb. Natürlich fühlte sich der vom Staat „abgesetzte“ Bischof niemals von der Leitung seiner Diözese entbunden und nahm die Amtsgeschäfte, so gut es ging, in der Haft und auch im Exil wahr.

Auch die anderen Oberhirten der niederrheinischen Kirchenprovinz wurden verurteilt und abgesetzt: Erzbischof Paulus Melchers von Köln (6 Monate Gefängnis, Absetzung 1876), Bischof Bernhard Brinkmann von Münster (1 ½ Monate Gefängnis, Absetzung 1876), Bischof Matthias Eberhard von Trier (9 Monate Gefängnis, starb vor Abschluss des Absetzungsverfahrens). Auf dem Höhepunkt des Kulturkampfes waren nur noch drei preußische Oberhirten im Amt, 5 waren vom Staat „abgesetzt“, inhaftiert oder im Exil, drei weitere Bischofsstühle durch den Tod der Amtsinhaber vakant. Darüber hinaus waren nahezu 2.000 katholische Geistliche von Strafprozessen und Verurteilungen betroffen.

 

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Das ehemalige Offiziersgefängnis in der Zitadelle Wesel. Errichtet 1727/28, zunächst als Getreidemagazin und Kaserne genutzt, heute in privater Hand, Foto: LVR-Niederrheinmuseum Wesel
Die renitenten preußischen Bischöfe, Titelseite der Leipziger „Illustrierten Zeitung“ vom 2. Mai 1874, nach Fotografien gezeichnet von A. Neumann. Das Blatt zeigt:
oben: die Bischöfe Brinkmann (Münster), Förster (Breslau) und Eberhard (Trier);
in der Mitte: die Erzbischöfe Melchers (Köln) und Ledochowski (Posen und Gnesen);
unten: Martin (Paderborn), Krementz (Ermland) und von der Marwitz (Kulm).
LVR-Niederrheinmuseum Wesel