Union und Agende, Mitbestimmung oder Bevormundung
Die von König Friedrich Wilhelm III. 1817 (am 300. Jahrestag des Thesenanschlags Luthers) verkündete Union der beiden protestantischen Bekenntnisse bezog sich wesentlich auf den Gottesdienst. Der König hoffte, mit einer gemeinsamen Liturgie, der so genannten Agende, das endliche Ziel der Verschmelzung erreichen zu können.
Darüber entbrannte der erste „Kirchenstreit“ in der Rheinprovinz, vor dem Hintergrund verschiedener Strukturen und Traditionen im Kirchenwesen. Im Rheinland und in der Grafschaft Mark bestand – im Gegensatz zu den ostelbischen Provinzen – seit langem die presbyterial-synodale Gemeindeverfassung. Ihre Merkmale waren die Mitwirkung von Laien, eine weitgehende Autonomie der Gemeinden und gemeinschaftliche Formen der übergeordneten Leitung und Entscheidung durch die Synoden. Diese sollten den 1817 auch im Westen eingerichteten Provinzialkonsistorienals Oberbehörden für geistliche Angelegenheiten nur noch beratend zur Seite stehen.
Der Widerstand gegen zentralistische Bevormundung durch die preußische Staatskirche artikulierte sich zunächst besonders in der reformierten rheinischen Kirche und verstärkte sich im Streit um die 1822 dekretierte Agende. Die neue Liturgie wurde als zu katholisch-opulent empfunden, und die Opposition beharrte darauf, dass Veränderungen in kirchlichen Dingen nur das Resultat gemeinsamer Synodalberatungensein könnten.
Die vermittelnde Tätigkeit eines „Einheimischen“ führte schließlich einen dauerhaften Kompromiss herbei. Der Generalsuperintendent für die Westprovinzen Wilhelm Roß (1777-1854) stammte aus Isselburg am Niederrhein und hatte mehr als dreißig Jahre die kleine reformierte Gemeinde in Budberg betreut. Seine Bemühungen veranlassten zunächst die rheinischen Synoden zur Annahme der königlichen Agende in modifizierter Form.
Im Gegenzug gestand der König ausschließlich den protestantischen Kirchen im preußischen Westen eine Synodalverfassungzu. Die 1835 erlassene Kirchenordnung für die evangelischen Kirchen der Provinz Westfalen und der Rheinprovinz bestätigte den Gemeinden das Recht der Pfarrerwahl und die Entsendung von Laien in die Synoden. Sie diente als Vorbild für die zwischen 1860 und1864 eingeführten Verfassungen der ostelbischen protestantischen Provinzialkirchen.
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