Friedrich Engels, das Rheinland und Preußen

Friedrich Engels war nie ein Freund Preußens. Und 1845 gab er aller Wahrscheinlichkeit nach auch seine preußische Staatsangehörigkeit auf. Wie Karl Marx beantragte Engels 1845 die Erlaubnis zur Auswanderung, die er auch erhielt. Der 1820 im Wuppertal geborene Sohn eines Textilindustriellen begann früh freiheitlichrepublikanische Überzeugungen zu entwickeln. Noch keine 19 Jahre alt, warf er der preußischen Regierung „Begünstigung der Geldaristokratie …, Streben nach fortwährendem Absolutismus, … Unterdrückung der politischen Intelligenz, Verdummung der Volksmehrzahl“ vor. (MEGA2 III/1. S. 169.) In einer Artikelserie im „Telegraph für Deutschland“, redigiert von dem Dichter Karl Gutzkow, fragte der 20-Jährige während der Rheinkrise von 1840, warum „deutsches Volksthum nur in der Polemik gegen das Ausland eine Stütze finden“ könne und forderte „eine große, einige, gleichberechtigte Nation von Staatsbürgern!“ (MEGA2 I/1. S. 219 und 221.) Der 21-Jährige gestand Preußen in der liberalen Kölner „Rheinischen Zeitung“ immerhin eine Berechtigung zu, wenn es, „rein den Eingebungen der Vernunft“ und der Wissenschaft folgend, ein „freie[s] Staatsbewußtsein“ fördere. Es könne sogar ein „Musterstaat für Europa“ werden, wenn es „von den Erfahrungen seiner Nachbarn“ lerne. (MEGA2 I/3. S. 357.)

Zeit seines Lebens ließ der Geburtsrheinländer Engels kaum eine Gelegenheit aus, Spott und Häme über den preußischen Staat und dessen Repräsentanten auszugießen. König Friedrich Wilhelm III. war aus seiner Sicht einer „der größten Holzköpfe, die je einen Thron“ zierten, nur „zum Korporal und Inspektor von Uniformknöpfen geboren“, der würdige Repräsentant eines „alten verknöcherten Diener- und Sklavenstaat[es]“. (MEW. Bd. 2. S. 572f) Dessen Sohn und Nachfolger Friedrich Wilhelm IV. zeichnete Engels – auf dessen Kinderlosigkeit anspielend - als „unfruchtbare[n] Don Quijote von Sanssouci“, der eine „feudalistisch-patriarchalisch-absolutistisch-bürokratisch-pfäffische Reaktion“ anstrebe. (MEW. Bd. 4. S. 495.)

Durch Herkunft und politischen Werdegang stark westeuropäisch geprägt, sah Engels in Preußen die spätabsolutistische Herrschaft bürokratisch überformt. Eine Klasse von Regierungs- und Verwaltungsbeamten konzentriere alle Macht in ihren Händen. Als 1848 die deutsche Märzrevolution vor den Thronen Halt machte, hofften er und Marx, dass auch in Deutschland die liberale National- und Verfassungsrevolution die demokratische Republik durchsetze. Aus der „halben“ deutschen Revolution sollte möglichst rasch eine ganze republikanische werden.

Auch 1848 setzte Engels kaum Hoffnungen in die Berliner Politik. Die Vorstellung, Berlin könne „zum deutschen Paris“, zur Hauptstadt der deutschen Revolution werden, tat er im Juli 1848 als „Provinzialpatriotismus“ ab. (MEGA2 I/7. S. 344.) Immer wieder betonte er in der „Neuen Rheinischen Zeitung“, die er und Marx 1848/49 als republikanisches „Organ der Demokratie“ in Köln herausgaben, finanziert durch eine Kommanditaktiengesellschaft nach französischem Recht, die Gegensätze zwischen den „Rheinländern“ und der preußischen Bürokratie, dem „Stockpreußenthum“. „Der Charakterzug der Rheinlande ist Haß gegen das Beamten- und Stockpreußenthum; diese Gesinnung wird hoffentlich fortdauern“, wird Engels in den Berichten über den ersten Rheinischen Demokratenkongress im August 1848 zitiert. (MEGA2 I/7. S. 350, 522f. und 773.) „Wo ist der Rheinländer, der nicht mit frisch importirten altpreußischen Beamten zu thun gehabt“, schrieb Engels im August 1848 in seiner Zeitung, „der nicht Gelegenheit gehabt hat dies unvergleichliche, naseweise Besserwissen, dies unverschämte Dreinreden, diese Vereinigung von Beschränktheit und Unfehlbarkeit, diese apodiktische Grobheit zu bewundern!“ (MEGA2 I/7. S. 522.) Die Aufhebung feudaler Rechte und Privilegien in Frankreich in der Nacht vom 4./5. August 1789 stellte Engels ebenso als vorbildhaft heraus wie die forcierte Modernisierungspolitik unter Napoleon I. im westlichen Rheinland. 

Der Reichseinigung von 1866/71 konnte Engels durchaus Positives abgewinnen. Die „raschen Fortschritte der Industrie“ bestärkten ihn darin, dass „das spießbürgerliche Deutschland endlich“ anfange, „ein modernes Land zu werden“. (MEW. Bd. 35. S. 450.) „Das deutschpreußische Reich“, schrieb er am 18. November 1884 aus London an August Bebel, „ist eine durchaus revolutionäre Schöpfung. Ich beklage mich nicht darüber.“ (MEW. Bd. 36. S. 238.) 1887/1888 wollte der 67jährige Engels in einer nie zustande gekommenen Schrift „Die Rolle der Gewalt in der Geschichte“ und in einem gesonderten Kapitel die „gesamte Politik Bismarcks“ diskutieren. (MEGA2 I/31. S. 610.) Bismarck beschrieb er nun als einen „preußische[n] Revolutionär von Oben“, dem es mit „Willenskraft“ bis hin zu „offne[r] Brutalität“ gelungen sei, „Deutschland den riesenlangen alten Zopf abzuschneiden.“ Engels zeigte sogar Verständnis für „die Diktatur Bismarcks in parlamentarischen Formen“, die er als „eine[n] der englischen Verfassung entsprechenden Zustand“ charakterisierte. Zentrale Bedeutung maß Engels jedoch der Annexion von Elsaß-Lothringen als Folge des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71 zu. Bereits 1871 hatte er diese vehement abgelehnt und als das größte Unglück bezeichnet. 1888 sah er darin „die Grundursache der ganzen, den Welttheil mit Krieg bedrohenden Krise“. (MEGA2 I/31. S. 87, 82, 107, 106 und 103.)

In den sozialdemokratischen Programmberatungen, 1875 auf dem Gothaer und 1891 auf dem Erfurter Parteitag, stritt Engels von London aus allerdings dafür, dass die Arbeiterpartei der Konfrontation mit dem deutschen Staat nicht ausweiche. Sei es nicht möglich, „ein offen republikanisches Parteiprogramm“ aufzustellen, so Engels 1891, dann müsse man wenigstens die „Konzentration aller politischen Macht in den Händen der Volksvertretung“ verlangen. (MEGA2 I/32. S. 50.)

Als Engels am 5. August 1895 in London starb, bedachte er die deutsche Sozialdemokratie mit seiner Bibliothek und mit 20.000 Mark für „Wahlzwecke“. Seit Mitte der 1880er Jahre hatte er die Wahlerfolge mit zunehmender Begeisterung verfolgt, die die Sozialdemokraten trotz – oder gerade wegen – der harten Repressionen durch Bismarcks Sozialistengesetz (1878-1890) erzielen konnten.  Schreite die Sozialdemokratie derart fort, zeigte er sich bereits 1884 überzeugt, lasse sich „der Zeitpunkt ihres schließlichen Siegs … schon jetzt mathematisch berechnen“. (MEW. Bd. 36. S. 230.) In einem Ergänzungsbrief zu seinem Testament legte er August Bebel ans Herz, alles dafür zu tun, dass das Geld „nicht den Preußen in die Finger fällt“. Wenn dies gewährleistet sei, „so trinkt eine Flasche guten Wein dazu, solches tut zu meinem Gedächtnis“. (MEGA2 IV/32. S. 55.)

Zum Autor:
Dr. Jürgen Herres, Mitarbeiter der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften im Vorhaben Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA)

Literatur und Abkürzungen:
MEGA2 = Karl Marx, Friedrich Engels: Gesamtausgabe (MEGA). Berlin 1975ff.
MEW = Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Bd. 1–43. Ergänzungsbd. Teil 1.2. Berlin 1956–1990.
Zur Auswanderung siehe: Michael Knieriem: Über Friedrich Engels. Privates, Öffentliches und Amtliches. Aussagen und Zeugnisse von Zeitgenossen. Wuppertal 1979. S. 116-119.

Unterthemen: 

> Von Guerilla und Generalen – Friedrich Engels und die preußische Armee

Weitere Informationen: 

Biografie von Friedrich Engels im Internetportal Rheinische Geschichte 

"Engels: Die Unternehmerfamilie aus Wuppertal-Barmen" ein Videoclip des Historischen Zentrums Wuppertal

 

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Foto: Friedrich Engels
George Lester, Friedrich Engels, 1868 © Wikimedia Commons [Public domain]